Nicht auf der Abschussliste

Die Bundeswehr ist auf dem Radar der Jugend

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des P-Seminars Deutsch „Journalistische Darstellungsformen“ und wurde als Artikel zur Veröffentlichung in der FAZ eingesandt:

Redakteurin Lisa Schmachtenberger (links) und Shania Brandt bei der Gelben Schleife am Bundeswehrstandort Veitshöchheim

„Wir. Dienen. Deutschland.“ Seit 2011 ist das der neue Slogan der Bundeswehr. Das Wort „dienen“ definiert der Duden folgendermaßen: „in abhängiger Stellung [gegen Lohn, Gehalt] bestimmte Pflichten erfüllen, bestimmte Arbeiten verrichten, bei jemandem Dienst tun, in jemandes Dienst stehen“. Klingt das Wort im ersten Moment auch unzeitgemäß, trifft es doch die Aufgabe und die Selbstwahrnehmung der Bundeswehr. „Der Slogan bringt das Gemeinschaftsgefühl und die Kameradschaft, die es bei der Bundeswehr gibt, zum Ausdruck“, sagt Shania Brandt. Die 17-jährige plant, nach ihrem Abitur im Mai 2021 sich als Berufssoldatin bei der Marine zu verpflichten. Der Slogan der Bundeswehr habe sie sofort angesprochen, erklärt sie. „Er sagt mir, dass ich ein Teil der Gesellschaft bin, der Gesellschaft helfen kann und in Notsituationen einen wichtigen Job habe.“ Hauptmann Philipp Nürnberger erklärt den neuen Slogan so: „Es geht darum, auf der Grundlage der Verfassung unserer Bundesrepublik zu dienen; und das schließt auch besondere Strapazen ein. […] Aber diese Härten gehören zum Beruf dazu, auch körperliche Härten in der Ausbildung, die man durchstehen muss, was aber letztendlich zum Zweck hat, dass man einsatztauglich ist, dass man den Auftrag, den die Politik uns gibt, auch erfüllen kann. Von daher finde ich den Slogan sehr passend.“ Er und sein Kamerad, Hauptmann Christian Rumpel, sind am Standort Veitshöchheim als Jugendoffiziere für die Region Unterfranken eingesetzt.

Ihren Dienst an der Gesellschaft tut die Bundeswehr seit dem Ansteigen der Corona-Fallzahlen in Deutschland, indem die SoldatInnen bei der Eindämmung der Pandemie helfen. Sie unterstützen beispielsweise in den Corona-Testzentren, um in möglichst geringer Zeit möglichst viele Menschen testen zu können. Dem Mangel an Schutzausrüstung begegnet die Bundeswehr mit der Beschaffung und Bereitstellung von Schutzmasken, Schutzbrillen, Einmal-Handschuhen und medizinischem Gerät. Die Luftwaffe fliegt an COVID-19 schwersterkrankte Patienten aus dem Ausland in deutsche Krankenhäuser zur Behandlung ein. Im „Lagezentrum Corona“ im Bundesverteidigungsministerium arbeitet man mit verschiedenen Ressorts der Bundesregierung zusammen, um einen stets aktuellen Überblick über den Verlauf der Pandemie zu behalten und auf Veränderungen schnellstmöglich reagieren zu können. Hauptmann Christian Rumpel ist sich der Bedeutung dieses Einsatzes für die Bundeswehr bewusst: „Man muss ganz klar sagen, dass es für uns Soldaten zwar herausfordernd, doch wichtig ist, auch im Inland, wenn wir gebraucht werden, gesehen und angenommen zu werden. Wir haben schon den Eindruck, dass den Kameraden, die in einem Gesundheitsamt ihren Dienst tun und telefonische Kontaktverfolgungen oder Ähnliches machen, das auch angerechnet wird.“

Per se ist es der Bundeswehr per Gesetz nicht gestattet, als eigenständiges Organ aus Eigeninitiative zu handeln und in Krisensituationen einzugreifen. Zur „technischen Amtshilfe“ muss die Bundeswehr durch Landes- oder Bundesbehörden aufgefordert werden; nur dann darf sie durch Bereitstellung von Gerätschaften wie Transport-, Feuerwehr- und Sanitätsgeräten oder deren Bedienung durch Angehörige der Streitkräfte Polizei und Feuerwehr unterstützen. Als 1962 der damalige Hamburger Polizeisenator Helmut Schmidt zur Rettung zehntausender Menschenleben vor der Hamburger Sturmflut die Bundeswehr mit Hubschraubern und Schlauchbooten Bürger aus ihren überschwemmten Häusern bergen ließ, wurde diese Order rechtlich diskutiert, stellt aber seit einer Rechtsreform heutzutage keinen Verfassungsbruch mehr dar. Neben dem Einsatz bei Naturkatastrophen ist die Bundeswehr auch dazu befugt, unter bestimmten Voraussetzungen beim so genannten „inneren Notstand“ einzugreifen. Artikel 87a Absatz 4 GG legt dazu fest: „ Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikel 91 Absatz 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen.“ Konkret bedeutet das, dass die Bundeswehr nur in einem eng beschränkten Rahmen im Inland und das vor allem in Zusammenarbeit beispielsweise mit der Polizei agieren darf, wenn die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet ist.

Im Rahmen der „BWTEX“ (Baden-Württembergische Terrorismusabwehr Exercise) wurde im Jahr 2019 ein solcher Katastrophenfall geübt. Teilnehmer der Bundeswehr, Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste probten dabei die Bewältigung eines terroristischen Anschlages von der Alarmierung über das Eingreifen in die Situation bis hin zur Versorgung von Verletzten in Krankenhäusern. Obwohl Polizei und Bundeswehr Organe der Exekutive sind und ähnliche Aufgaben erledigen, stand für Shania Brandt von vorne herein fest, dass sie zur Bundeswehr möchte. Über eine Ausbildung bei der Polizei habe sie trotzdem auch nachgedacht: „Die Polizeiarbeit verbinde ich stärker mit Routine und bei der Bundeswehr hat man meiner Meinung nach mehr Abwechslung. Vor allem, weil man durch wechselnde Standorte und Einsätze viel Neues sieht.“

Auch im Ausland dient die Bundeswehr dem Schutz der Bürger, indem sie im Auftrag des Bundestages und in Zusammenarbeit mit internationalen Streitkräften beispielsweise die Rettung der gefährdeten Personen plant und gegebenenfalls auch durchführt. Das beinhaltet, deutsche Auslandsvertretungen zu beraten und auf Bedrohungen hinzuweisen, deutsche Staatsangehörige, die im Ausland festsitzen, wieder nach Deutschland zurückzubringen sowie das Beenden von Geiselnahmen und Entführungen mit eventuellen Geiselbefreiungen.

Seit 2013 befinden sich deutsche Soldaten im Rahmen der von UN und EU ausgehenden „MINUSMA“- und „EUTM“-Einsätzen in Mali. Dort leisten sie gemeinsam mit Streitkräften aus UN- und EU-Mitgliedsstaaten ihren Beitrag zur politischen und sicherheitspolitischen Stabilisierung des Landes. Zunächst stellte die Bundeswehr Transportflugzeuge bereit; seit 2013 sind auch deutsche Soldaten in Mali vertreten. „Die Mission der Vereinten Nationen zielt darauf ab, eine grundsätzliche Atmosphäre der Sicherheit in Mali zu schaffen und ein Waffenstillstandabkommen zu überwachen. Hier geht es grundsätzlich erstmal darum, Sicherheit zu schaffen, im Raum präsent zu sein. Es gibt viele Patrouillen, man zeigt sich, bleibt mit der Bevölkerung im Gespräch und hat ein offenes Ohr, weil es letztlich nicht nur ein militärischer Einsatz ist, sondern auch viele Hilfsorganisationen daran beteiligt sind, für die eine gewisse Sicherheit die Grundlage ihres Handelns darstellt“, erklärt Hauptmann Philipp Nürnberger. EUTM sei da ganz anders gelagert: „Das ist eine Militärmission der Europäischen Union, initiiert auf Bitten der malischen Regierung. Dort geht es im Wesentlichen darum, dass das malische Militär ermächtigt wird, selbst für Sicherheit zu sorgen.“ Die deutschen Streitkräfte werden vor allem im Objektschutz und der Unterstützung von Sanitäts-, Einsatz-, Logistik- und Führungskräften eingesetzt. Beim Ausbau der Infrastruktur in Nordmali fördert die Bundeswehr die Erneuerung des Flugplatzes in Gao, damit dieser strategisch wichtige Punkt auch wieder mit größeren Passagier- und Frachtflugzeugen zu erreichen ist. Zusätzlich ist die Bundeswehr an der Ausbildung malischer Sicherheitskräfte beteiligt, mit besonderem Augenmerk auf der Wahrung von Menschenrechten und der Bekämpfung von Fluchtursachen. Auf das Leben im vermeintlich weit entfernten Deutschland haben diese Einsätze großen Einfluss, wie Hauptmann Christian Rumpel meint: „Letzten Endes geht es auch um deutsche Sicherheitsinteressen. Wir müssen uns überlegen, wo wir uns auf der Weltkarte befinden, nämlich in direkter Nachbarschaft zu Afrika und dementsprechend ist es ein grundlegend europäisches Anliegen, dass unsere Nachbarregion stabil ist. Stabilität geht auch davon aus, dass ein stabiles staatliches Gewaltmonopol herrscht. Wir schauen in Richtung Süden über das Mittelmeer hinaus und versuchen dort vor Ort die Probleme zu lösen, um sichere Strukturen bieten zu können, dass es den Leuten in ihrer eigenen Heimat gut geht und sie nicht gezwungen sind, wo anders Sicherheit finden zu können. Damit ist auch die Frage zu beantworten, was das Ziel des Mali-Einsatzes der Bundeswehr ist: vor Ort Sicherheit schaffen, um im eigenen Land die Systeme zu entlasten und vor der eigenen Haustür keine Konflikte oder Kriege zu haben.“

Informiert über die Arbeit bei der Bundeswehr sowie den Aufnahmeprozess hat sich Shania Brandt über die Internetseite der Bundeswehr, bei der Informationsveranstaltung „Tag der Bundeswehr“ sowie beim Beratungsbüro der Bundeswehr. „Da wurde man über vieles aufgeklärt und bekam weitere Informationen zum Bewerbungsprozess. Die Bedeutung der Auslandseinsätze wurde besonders betont und ich wurde gefragt, wo meine Interessen liegen. Nach diesem Telefonat habe ich die Bewerbungsunterlagen zugeschickt bekommen.“

Eine weitere Anlaufstelle, um sich über die Arbeit der Bundeswehr zu informieren, sind die Jugendoffiziere. Sie reisen als geschulte Referenten durch Deutschland, um beispielsweise in Schulen, bei Podiumsdiskussionen, Weiterbildungsseminaren und Vorträgen an Universitäten über die Arbeit der Bundeswehr zu informieren. Jugendoffizier Philipp Nürnberger erklärt seine Aufgabe und die Bedeutung seines Titels so: „Ursprünglich hat er sich auf die Zielgruppe bezogen. Im Grunde genommen sprechen wir als Jugendoffiziere aber generell die interessierte Öffentlichkeit an; in dem Sinne sind wir ein Bindeglied zwischen der Bundeswehr und der Gesellschaft.“

Laut Angaben des „Trendence Schülerbarometers“ ist die Bundeswehr von Jugendlichen auf Platz 2 der beliebtesten Arbeitgeber gewählt worden. „Die Bundeswehr bietet den super Vorteil, dass man ohne Numerus Clausus studieren kann, was natürlich gleich nach dem Abitur nicht schlecht ist. Und dann finde ich auch noch gut, dass man sofort für seine Arbeit bezahlt wird“, meint Shania Brandt und lacht.

Derzeit wird über die Einführung eines „Dienstjahres“, bei dem junge Menschen in einer bestimmten Institution ein gemeinnütziges Jahr verbringen sollen, debattiert. Shania Brandt steht dem kritisch gegenüber: „Ich finde, es gibt viele in unserem Alter, die kurz nach dem Abitur keinen Plan haben, deswegen fände ich es gut, wenn es so etwas gibt. Aber verpflichtend greift es zu sehr in die Freiheit ein. Wenn man beispielsweise so wie ich weiß, was man machen möchte und dann hätte ich keine Lust gehabt, ein Jahr – das man mir vorschreibt – abzuleisten.“ Hauptmann Philipp Nürnberger zeigt sich begeistert von diesem Denkanstoß: „Auf einer Basis, auf der sich jede_r nach seinen_ihren Neigungen für die Gesellschaft engagieren könnte, wäre das ein Gewinn für die Jugendlichen und die Gesellschaft.“

Die Gründe, weshalb Heranwachsende der Bundeswehr offen gegenüberstehen, sind vielfältig und gehen über den militärischen Aspekt des Diensts an der Waffe hinaus. Im Duden findet man noch eine weitere Definition von „dienen“: „sich einer Sache oder Person freiwillig unterordnen und für sie wirken; für jemanden, etwas eintreten“. Womöglich ist es genau das, was Jugendliche heutzutage anspricht. Ob er sich mehr Dank für seinen Dienst von der Gesellschaft wünscht? Dazu hat Hauptmann Christan Rumpel eine klare Meinung: „Die Leute sollten wertschätzen, dass man seinem Land dient und auch wertschätzen, was die Bundeswehr macht. Das muss keine Lobeshymnen sein, aber einfach ganz normale Anerkennung. Oder wie man in Franken sagt: Nix‘ g‘sagt ist gelobt g’nug.“

Lisa Schmachtenberger, Q 12