Teilnahme am Unterricht trotz Langzeiterkrankung
Die Tür zum Klassenzimmer öffnet sich und wie jeden Morgen beginnt der Unterricht. Doch heute ist alles ein wenig anders: in der letzten Reihe ist der freie Stuhl besetzt – von einem kleinen, weißen Roboter mit einem freundlichen „Gesicht“, das eigentlich ein Bildschirm ist. Er ist nur etwa 30 Zentimeter groß, mit Mikrofon und Kamera ausgestattet, kann seinen Kopf drehen, mit den Kameraaugen blinzeln, den Blickkontakt herstellen und sich sogar melden – auf Knopfdruck.
Die St.-Ursula-Schule hat ihn nun auch – einen eigenen Avatar, der für langzeiterkrankte Schülerinnen zum Fenster in den Klassenraum wird. Chronische Erkrankungen wie zum Beispiel eine Herzinsuffizienz, eine oft über viele Monate dauernde Chemotherapie oder schwere Unfälle können junge Menschen aus dem gewohnten Schulalltag reißen, was dazu führt, dass viel Unterrichtsstoff versäumt wird. Aber nicht nur das: auch der Kontakt zu den Mitschülern leidet in dieser Zeit.
Im Klassenzimmer „sitzt“ der Roboter am Platz der erkrankten Schülerin und über einen Livestream werden Bild und Ton auf das Tablet zu Hause übertragen. Möchte sie auf eine Frage der Lehrkraft antworten, leuchtet ein kleiner Kreis auf dem Avatar-Kopf auf: die virtuelle Hand geht hoch und ihre Stimme erklingt aus dem Lautsprecher. Auch Gruppenarbeiten sind mit dem Avatar möglich. Und wenn die Klasse Pause hat? Sogar dann kann der Avatar problemlos wie ein kleiner Rucksack getragen und mitgenommen werden.
„Die soziale Isolation ist ein riesiges Problem“, erklärt Sr. Katharina, die Direktorin des Gymnasiums und Vertreterin des Schulträgers. „Der Avatar gibt einer kranken Schülerin nicht nur die Chance, trotz Krankheit am Unterricht teilzunehmen, sondern er ermöglicht auch ein Stück Alltag und Zugehörigkeit.“ Lehrerinnen berichten zudem, dass sich durch die Avatar-Präsenz das Verständnis der Klasse für die Erkrankung und die Bedeutung der Inklusion verbessert habe. Und interessant ist die neue Technik natürlich auch.
Die Anschaffungskosten für einen Avatar liegen bei ca. 3.500 Euro. In Bayern wird das Projekt derzeit durch das Kultusministerium und private Stiftungen gefördert. Die St.-Ursula-Schule bekam ihren Avatar über eine großzügige Spende aus dem Kreis des Ambassador Clubs Mainfranken. Die hohen jährlichen Betriebskosten von ca. 900 Euro wird der Freundeskreis der Schule tragen.
An der St.-Ursula-Schule hat für erkrankte Schülerinnen eine neue Ära begonnen: der Unterricht kann weitergehen – er hat nur ein neues Gesicht bekommen, einen kleinen Roboterkopf, dem nur noch ein passender Name fehlt.
Text: Martina Weth
Bild: Sr. Johanna Ankenbauer (OSU)