Dieser Beitrag entstand im Rahmen des P-Seminars Deutsch „Journalistische Darstellungsformen“ und wurde als Artikel zur Veröffentlichung in der FAZ eingesandt:
„Schaut her – das ist uns über all´ die Jahre erspart geblieben!!“ Mit diesem Satz kommentiert Lisa Stadelmann, eine Schülerin der Oberstufe, sichtlich irritiert das von ihr als kindisch empfundene Verhalten einer Gruppe gleichaltriger Jungen vor dem Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar. Diese Anekdote wird bis heute an der St.-Ursula-Schule Würzburg erzählt; man amüsiert sich darüber. Doch eines zeigt sie nachdrücklich: Zwischen Mädchen und Jungen bzw. Frauen und Männern scheint es im Hinblick auf ihre Entwicklung und ihr Verhalten deutliche Unterschiede zu geben. Diese spiegeln sich auch in der Berufswelt wider. Laut des „IW-Reports 14/2018“ des „Institutes der Deutschen Wirtschaft“ betrug 2017 der Anteil an Frauen in Führungspositionen deutscher Unternehmen 29%, wohingegen Frauen 49% der Beschäftigten stellten. Damit sind Frauen, obwohl sie fast die Hälfte aller Erwerbstätigen darstellen, in Führungspositionen eindeutig unterrepräsentiert. Viele Eltern hoffen, dass der Besuch einer Mädchenschule ihren Töchtern den Weg in die Führungsetagen Deutschlands ebnet. Andere hingegen bezweifeln, ob es im 21. Jahrhundert noch zeitgemäß ist, eine monoedukative Schule zu besuchen.
Bis weit in die 1870er-Jahre hinein gab es keine staatlichen Schulen für Mädchen. Die jungen Frauen wurden, sofern es finanziell möglich war, zu Hause von Privatlehrern unterrichtet. Ein erster Schritt, mehr Mädchen einen Zugang zu höherer Bildung zu ermöglichen, erfolgte 1893, als einige Frauen um die Frauenrechtsaktivistin Helene Lange in Berlin privat geführte Gymnasialkurse einrichteten und im selben Jahr unter der Leitung Hedwig Kettelers in Karlsruhe das erste private Mädchengymnasium gegründet wurde. Mädchen bot sich damals zum ersten Mal die Möglichkeit, außerhalb des Heimunterrichts eine Abiturprüfung abzulegen.
Die daraufhin in ganz Deutschland ins Leben gerufenen Mädchenschulen standen meist in privater oder kirchlicher Trägerschaft, denn in sozialen und politischen Kreisen stieß das Recht der Mädchen auf Bildung kaum auf Interesse, weshalb vor allem Töchter wohlhabender Familien diese Schulen besuchten. Für junge Frauen aus einfacheren Verhältnissen, die helfen mussten, den Lebensunterhalt der Familie zu sichern, war mit dem Abschluss der Volksschule (vergleichbar dem heutigen Hauptschulabschluss) die Schullaufbahn beendet.
Ende der 1960er-Jahre gab es einen weiteren Fortschritt in der Mädchenbildung: Im Zuge der Emanzipationsbewegung wurde die Stellung der Frau in der Gesellschaft problematisiert und diskutiert; die schulische Bildung der Mädchen gewann an Bedeutung. Mehr Schülerinnen besuchten Gymnasien und das Konzept der Koedukation wurde Standard. Durch den Besuch des gemeinsamen Unterrichtes sollte der Grundstein für die weitere Gleichstellung von Mann und Frau gelegt werden. Reine Mädchengymnasien galten als reaktionär.
Knapp 50 Jahre später sollte diese Haltung kritisch hinterfragt werden. Studien zeigen, dass der Besuch eines Mädchengymnasiums die Chancengleichheit der jungen Frauen im beruflichen Wettbewerb fördert. Mädchen benötigen im Gegensatz zu ihren männlichen Mitschülern eine ruhige Lernatmosphäre, die für den Lernerfolg ausschlaggebend ist und eine bessere Konzentration auf den Unterricht ermöglicht. Im Gegensatz dazu suchen Jungen stärker die Anerkennung ihrer Mitschüler durch Zwischenrufe und vorlaute Kommentare, was Unruhe und Lärm nach sich zieht. Dieses Streben der männlichen Mitschüler fehlt an einem Mädchengymnasium; durch eine ruhige Unterrichtsatmosphäre wird ein wichtiger Grundstein für effizientes und effektives Lernen gelegt. Auch Rebekka Kraft nimmt das wahr. Sie unterrichtet die Fächer Politik, Geschichte, Spanisch und Deutsch an der St.-Ursula-Schule Würzburg, einem Mädchengymnasium mit Mädchenrealschule. Über das Unterrichtsklima an Mädchenschulen meint sie: „Die Lernatmosphäre ist für die Mädchen perfekt. Im Unterricht herrscht meist eine sehr ruhige und konzentrierte, aber auch offene und ungezwungene Atmosphäre. Das kannte ich von vorherigen koedukativen Gymnasien nicht.“
Es ist bewiesen, dass Mädchen durch eine entspannte Lernumgebung bessere Leistungen bringen können. Hartnäckig hält sich aber die Annahme, Schülerinnen hätten in naturwissenschaftlichen Fächern nur einen genetisch begrenzten Leistungshorizont. Dass dem nicht so ist, wird jährlich in den Pisa-Studien bewiesen, in denen Jungen und Mädchen in naturwissenschaftlichen Fächern annähernd gleiche Ergebnisse erzielen. Dennoch kann sich laut Umfragen der OECD nur eines unter 20 Mädchen vorstellen, einen naturwissenschaftlichen Beruf zu ergreifen, unter Jungen sind es vier. Das Problem ist also kein geistiges, sondern ein gesellschaftliches. Oftmals wird jungen Frauen signalisiert, dass gute Leistungen in naturwissenschaftlichen Fächern zu erzielen, keine Priorität habe, da diese Fachrichtungen „unweiblich“ seien. Es ist hierbei also keine besondere fachliche Förderung nötig. Folglich erbringen die Schülerinnen einer Mädchenschule im Vergleich bessere Leistungen in diesen Fächern als ihre Kolleginnen an gemischten Schulen, da ihre Fähigkeiten an monoedukativen Schulen stärker gefördert und wertgeschätzt werden können. So sieht das auch Rebekka Kraft: „An monoedukativen Schulen können die so genannten „Rollenklischees“ abgeschwächt wirken, da es im Unterricht keinen Vergleich zu den Jungs gibt, denen auf dem naturwissenschaftlichen Gebiet meist mehr Talent zugeschrieben wird. Das heißt natürlich auch, dass die Mädchen sich nicht auf ihrem Rollenklischee „ausruhen“ können und hier vielleicht größeren Ehrgeiz entwickeln. Auch Wahlfächer, wie Robotik und Mountainbike oder MINT (Mathematik, Informatik, Natur und Technik) werden mit Begeisterung und ohne Scheu besucht. Das ist bei koedukativen Schulen leider anders, da solche Förderangebote oft von Jungs dominiert sind.“ Zudem fällt an Mädchenschulen der Druck weg, im Wettbewerb bessere oder ähnliche Ergebnisse wie die männlichen Mitschüler zu bringen. Und genau das ermöglicht eine ruhige und entspannte Lernumgebung, die für die Leistung der Schülerinnen ausschlaggebend ist.
Um im Berufsleben erfolgreich zu sein, ist neben fachlichen Kenntnissen ein selbstbewusstes Auftreten wichtig. Fehlt dieses, so entstehen „unconscious bias“ (zu Deutsch: „unbewusste Voreingenommenheit“), mit denen das „Institut der Deutschen Wirtschaft“ die Unterrepräsentation der Frauen in Führungspositionen erklärt: Oftmals schätzen diese ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt und im beruflichen Wettbewerb grundsätzlich schlechter ein als die ihrer männlichen Kollegen und trauen sich daher nicht, Ambitionen zu formulieren; Interesse an einem beruflichen Aufstieg wird von außen nicht wahrgenommen und ignoriert. Ein Grund dafür ist häufig das anerzogene Rollenbild, mit dem Frauen konfrontiert werden. Von klein auf lernen Mädchen, sich im Konfliktfall zurückzunehmen und Jungen den Vortritt zu lassen. Dieses Verhalten wird an einer gemischten Schule weiter vertieft, indem lautes und störendes Verhalten von Jungen eher akzeptiert wird als von den Mitschülerinnen. An einer Mädchenschule besteht diese Situation nicht. Die Schülerinnen können ohne Einschränkung ihre Meinungen äußern, ohne in Konflikt zu einer vermeintlichen „Rollenkonformität“ zu geraten und damit an einem selbstsicheren Auftritt arbeiten, wie auch Rebekka Kraft beobachtet: „Es gibt viele Momente, in denen es nicht möglich ist, sich hinter den Jungs zu verstecken oder von diesen in den Schatten zurückgedrängt zu werden. Das fängt schon in der 5. Klasse an, wenn die Klassenleitung bei der Abholung der neuen Bücher nicht mehr sagen kann: „Wo sind denn die starken Jungs?“ Ich denke, dass das Mädchen und jungen Frauen guttut.“
Auch darüber hinaus sind die Risikobereitschaft, einen Karriereschritt zu wagen und die Kenntnis der eigenen Rolle und der eigenen Stärken – Faktoren, die zum beruflichen Erfolg beitragen – eine Frage des Selbstbewusstseins. Jungen Frauen genau dieses zu vermitteln wird als die größte Stärke der Mädchenschulen wahrgenommen. Die Schülerinnen haben nicht das Gefühl, als weiblich wahrgenommene Stereotypen bedienen zu müssen, um sich von ihren männlichen Mitschülern abzugrenzen. Stattdessen können – und müssen – sie sich, sowohl im Hinblick auf fachliche Stärken als auch in Bezug auf eine eigene Persönlichkeit, individuell entwickeln. Die verschiedensten Potentiale der Schülerinnen werden gefördert und keine Eigenschaft und kein Talent vernachlässigt, weil es als „unweiblich“ gilt. Sowohl intro- als auch extrovertierte Schülerinnen können sich umfassender entwickeln und die Ausbildung ihrer Persönlichkeit wird unabhängig von den Grenzen des sozialen Geschlechts gefördert.
Mädchenschulen sind keineswegs reaktionär. Gemäß des Leitsatzes des „Female Empowerment“ werden die Stärken der Schülerinnen gefördert und geschätzt, individuelle Charaktere und Lebenspläne entwickelt und akzeptiert. Genau darin liegt der Schlüssel zur weiteren Gleichstellung: Anstatt durch absolute Konformität die Emanzipation zu erreichen, werden die Schülerinnen individuell in ihrem Selbstbewusstsein und ihrem Selbstwertgefühl gestärkt, sodass sie mit diesem Bewusstsein für die eigene Person die optimalen Möglichkeiten im beruflichen Wettbewerb haben. Auch Lehrerin Rebekka Kraft ist vom Potential der Mädchenschulen überzeugt: „Auf Mädchenschulen lernen die Schülerinnen, dass es wichtig ist, sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam, aber jede mit ihren spezifischen Talenten, die Zukunft zu gestalten. Nur zusammen können Frauen in einer immer noch von patriarchalen Machtstrukturen geprägten Gesellschaft bestehen und ihren eigenen Weg gehen.“
Lisa Schmachtenberger, Q 12