Junge Menschen, die sich auf der Straße zusammenrotten, zuweilen freudig lachend, zuweilen andächtig schweigend oder wild diskutierend zusammenstehen und gemeinsam in Richtung Kirche ziehen, um sich dort zu treffen.
Die Szenerie, die sich am Freitag zwischen der St.- Ursula- Schule und der St.-Stephanskirche abspielte, erinnerte schon sehr an die Ereignisse, die sich vor 30 Jahren ereigneten und welcher die Schülerinnen der St.-Ursula-Schule gedenken wollten.
Somit begrüßte die Schülersprecherin Lisa Schmachtenberger die neunten und zehnten Klassen der Realschule und des Gymnasiums mit eben dieser Erinnerung an jene Menschen, die sich damals in den Kirchen, beispielsweise in Leipzig, trafen, um für Freiheit und Demokratie zu beten und zu demonstrieren. Bewegungen wie diese machten es möglich, die Mauer zum Einsturz zu bringen.
Um dieses Gefühl des Umbruchs für alle erlebbar zu machen, stimmte der Oberstufenchor unter der Leitung von Dr. Claudia Breitfeld in den nächsten 60 Minuten verschiedene Lieder an, die für den Kampf für Freiheit, Zusammenhalt und eine offene Gesellschaft in der Vergangenheit standen und auch heute noch stehen. Das Solidaritätslied – das Kampflied der Sozialisten – ruft zwar die Arbeiterschaft dazu auf zusammenzuhalten, wurde aber in der DDR als Manipulationsmittel missbraucht, sowie auch das Lied von der Partei. Dieses wird von den Schülerinnen Lisa Schmachtenberger, Theresa Halsch und Sophia Reiß immer wieder harsch unterbrochen. In kurzen Zwischenrufen kritisieren sie die Aussagen, die darin zur Partei, Stalin und der Gesellschaft getroffen werden. Sie erinnerten so an die Zeit, in der nur das Kollektiv zählte und einzelne Bedürfnisse, sofern sie nicht der vorgegebene Meinung entsprachen, ignoriert und bekämpft wurden. Kritische Stimmen wurden ruhig gestellt und jede Art von Reformierung verhindert, bis im November 1989 die Menschen zur Mauer drängten, die Grenzen geöffnet wurden und die Mauer fiel.
Diesem Gefühl Ausdruck verleihend singen die Schülerinnen „Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen. Die Schülersprecherin Theresa Halsch zeigt daran auf, dass der Titel das höchste Gut ist, das die Menschen sich 1989 friedlich erkämpft haben: die Freiheit, seine Meinung angstfrei zu äußern, echt zu wählen, zu reisen, zu studieren und den Beruf zu wählen, den man selbst gerne ausüben möchte.
So wie die Musiker aus Ost und West, die sich zum Jahreswechsel 1989/1990 vereinigten und zum Ausdruck ihrer Freude über die wiedererlangte Freiheit Beethovens „Oder an die Freude“ spielte, so singen auch die Schülerinnen alle zusammen dieses Lied, dessen Text aus Schillers Gedicht „An die Freude“ stammt. Das Gefühl des Zusammenhalts, der Gemeinschaft, der Toleranz und Freiheit hat nun alle ergriffen. Nach einer letzten Darbietung des Liedes „Die Gedanken sind frei“ durch den Oberstufenchor verlassen alle Schülerinnen gemeinsam die St.-Stephanskirche, einige sicherlich mit dem Ziel, ihre eigene Freiheit zu schätzen und zu nutzen, um Grenzen in der Gesellschaft auch noch heute mit Menschlichkeit und Zusammenhalt zu überwinden.
R. Kraft